Traumasensibles Arbeiten in der politischen Awareness und Umgang mit krisenhaften Ereignissen
1. Einführung Trauma und Neurobiologie
Trauma und Verlust von Sicherheit
Ein seelisches Trauma entsteht entweder durch viele kleine belastende Ereignisse, die insgesamt ein Gefühl der Ohnmacht auslösen (zB schiefe Blicke, weil irgendein Körperteil nicht normativ genug aussieht). Oder durch ein einziges belastendes Ereignis bzw eine thematische Folge von Ereignissen (zB Unfall). Wichtig ist, dass ein belastendes Gefühl der Ohnmacht und damit Gefühl des Verlustes von Sicherheit einher geht. Wichtig ist außerdem, wie diese Ohnmacht erlebt wird, als aushaltbar oder eben nicht mehr vom inneren System des Menschen kompensierbar. Tritt das zweite ein, kann eins von einem Trauma sprechen.
Eins kann die Anforderung gerade nicht mehr bewältigen
Oft reagieren Menschen mit Angriff oder Flucht (auch Vermeidung) oder einer Mischung daraus (Rechtfertigung, Ablenkung), wenn ihr System überlastet ist. Es breitet sich ein Gefühl des Unbehagens aus. Die Unfähigkeit einen klaren Gedanken zu fassen, wird fast spürbar. Grund sind neurobiologische Transmitter im Gehirn, die nach einer „Alarmmeldung“ als Botenstoffe ausgesendet werden. Wann der körpereigene Alarm eines Menschen anspringt, hat mit vorherigen Traumatisierungen, Erfahrungen, Persönlichkeit und Sicherheit der Situation zu tun.
Traumasensible Awareness Arbeit
bedeutet sich bewusst zu sein, dass Menschen durch verschiedene Auslöser (Trigger) oder Umstände, in diesen Zustand geraten können. Das Ziel ist es, angemessen damit umzugehen. Ein klingelnder Alarm hat immer einen guten Grund (unsere Haltung!). Es ist zuerst der Versuch des Systems, die Kontrolle wiederzuerlangen und auch an einer Verbesserung mitzuwirken.
Kommt eins in großen Stress, bedeutet traumasensibles Arbeiten einen Gang runterzuschalten und sich der Vorgänge in Psyche und im Körper des Menschen bewusst zu werden. Wir wissen rational , dass die Situation zwar belastend, jedoch nicht lebensbedrohlich ist. Das limbische System im Gehirn stammt aus der Steinzeit und weiß das schlicht nicht. Die Kunst ist es, den Menschen wieder auf ein Level zu helfen, auf dem er rational ansprechbar ist. Das geht nur, vereinfacht gesagt, sobald ausreichend Transmitter abgebaut sind. Für Problemlösungen heute brauchen wir Rationalität (Großhirnrinde, Balken), das heißt genau den Teil des Gehirns, den das Kleinhirn plus Nachbarn gerade durch den Alarmknopf ausgeschaltet hat. Unsere innere Haltung könnte neben dem Unterstellen eines guten Grund für das Verhalten noch sein, die neurobiologische Ebene zu berücksichtigen.
Gelassenheit, Sicherheit und vielleicht Humor, Liebe oder Fröhlichkeit von außen entspannen das limbische System. Wegkommen vom Kampf um Sicherheit ist wichtig, weil es sonst zu
- Identifikation oder Dissoziation kommen kann, was Integration erschwert
- Reinszenierungen (die in unserem Kontext nie hilfreich sind) kommen kann
- Erzählen und Reinszenierung Awareness-Menschen traumatisieren kann ( Sekundärtrauma )
- Menschen im Nachgang Scham verspüren, das Gefühl von Oversharing bekommen könnten
- Menschen die Orientierung verlieren (Werte, Zeit und Raum, Körpergrenzen) und damit in diesem Zustand verletzlicher sind. Vielleicht erlaubt die äußere Situation keine Verletzlichkeit.
- Die eigene Selbstbestimmung und Entscheidungsfähigkeit evtl. eingeschränkt wird
Polyvagale Leiter
Es gibt eine feste Reihenfolge, in der unser Körper auf Stress reagiert. Wir bewegen uns von ruhig, sozial kompetent und rational erreichbar mit dem Alarm des limbischen System in einen Flucht/ Kampf Modus und gehen dann weiter in Richtung Dissoziation. Das ist ein Zustand in dem gleichzeitig das Gaspedal voll durchgedrückt ist und gleichzeitig die Handbremse angezogen ist. Nichts geht mehr. Menschen können in der Vollausprägung kollabieren und brauchen Hilfe, um da wieder rauszukommen.
Jede weitere Stufe auf der polyvagalen Leiter löst eine weitere Stressreaktion aus. Gefühlt verstärkt sich die Gefahr von außen durch die Vorgänge im Innern. Natürlich nicht nur, die tatsächliche Bedrohung kommt ja dazu.
Dazu ist es wichtig zu wissen, dass das Risiko von Traumafolgestörungen maßgeblich damit zu tun hat, wie ein Ereignis erlebt wird, nicht, was in den Augen Außenstehender „tatsächlich“ passiert. Ändern wir also die Umstände, das Erleben, die konstruierte erlebte Wahrheit des betroffenen Menschen, verbessert sich vielleicht die Fähigkeit der Kompensation. Das ist unsere Hoffnung.
2. Möglichkeiten der Awareness Arbeit
Was können wir tun?
In unserer Situation können wir versuchen eine authentische Beziehung aufzubauen, die gleichzeitig den Raum für beide Menschen hält und absteckt.
Haben wir das Vertrauen des Hilfesuchenden Menschen gewonnen, können wir stabilisieren.
Große Angst, Zwänge oder Krisen können wir außerdem begleiten.
Was können wir nicht tun
Eine Traumatherapie ersetzen oder Konfrontation mit dem belastenden Ereignis. Unrealistische Hoffnungen oder Versprechen.
Über individuelle Grenzen von uns und anderen gehen.
Stabilisierung
Orientierung im Raum geben : Die Umgebung anschauen, nach hinten schauen (Tunnelblick überlisten), Sichtfeld weiten. Tricks: Tee machen lassen, etwas im Raum suchen lassen. Körperlageveränderungen (Sitzen, laufen, hinlegen). Uhrzeit besprechen, Tagesstruktur besprechen. Damit kommt auch die Orientierung in Bezug auf eigene Körpergrenzen zurück.
Die belastende Situation in der Atmosphäre verändern : Musik anmachen, durch die Natur bewegen, Raumwechsel. Gelassenheit und Humor ausstrahlen. Ruhe und Langsamkeit. Dadurch wird die Möglichkeit unterstützt, die Bedrohung rationaler einzuschätzen. Lösungskompetenz wird gestärkt.
Bewegen, übers Camp gehen, etwas erledigen : Ist ein häufiger Impuls, dem wir folgen sollten. Es lenkt etwas ab und erweitert damit das Handlungsfeld. (raus aus dem Tunnel), Bewegung unterstützt den Flucht-Impuls und kann die (vorher nicht mögliche Flucht) ein Stück weit nachholen. Geh mit, halte den Menschen im Auge und sei einfach da.
Grenzen des betroffenen Menschen für diesen mitachten: Spreche es behutsam an, wenn du das Gefühl hast der Mensch spürt seine eigenen Grenzen gerade nicht gut und erzählt zb Details eines sexuellen Übergriffs anderen, unbekannten Menschen. Schütze ihn und andere davor, über belastende Ereignisse in dieser Form zu sprechen. So ein Gespräch braucht jetzt viel mehr als sonst eine geschützte Umgebung, Rahmen und Menschen, denen sich der betroffene Mensch auch im Vollbesitz seiner Entscheidungsfähigkeit öffnen würde. Kenne deine eigenen Grenzen, sag nein, wenn es dir zu viel wird oder du ein komisches Gefühl bekommst.
Ressourcen des Menschen kennenlernen: Resilient gegen Trauma machen uns auch unsere eigenen Ressourcen. Wann immer es zu viel wird: Sprecht eine Zeit lang über Hobbies, positive
Erinnerungen, Fähigkeiten oder das, was gerade ein Erfolg ist. So kannst du freundlich auf deine eigene Grenzen hinweisen, seine damit mitunterstützen und doch im Kontakt bleiben.
Ressource des betroffenen Menschen umsetzen. Der Mensch erzählt von seiner Freundin? Ruft sie an. Der Mensch liebt die Natur? Schaut euch den weiten Himmel an. Trinkt ein Glas Wasser.
Wieder in den Alltag und die Körperbedürfnisse zurückführen: Menschen in psychischem Ausnahmezustand spüren keinen Hunger und Durst mehr, Schmerzen sind vermindert. Das heißt im besten Fall kommt das wieder, so wie ihr die polyvagale Leiter nach oben wandert. Checke daher nochmal, jetzt doch was Essen? Zu den Sanis gehen?
Die Situation mitaushalten, da sein , den Raum für den betroffenen Menschen mittragen ist das Wertvollste, was wir tun können. Powersatz: Es ist schlimm. Ich bin bei dir.
Psychohygiene und Selbstschutz
Solche Arbeit ist auch für dich belastend. Leiste sie nur, wenn du bereits ein inneres Konzept hast, bewusst in einen Fall reinzugehen. Wenn du weißt, dass du deine eigenen Grenzen auch unter Belastung noch spüren und achten kannst. Wenn du bereits eigene Ressourcen aufgebaut hast, die dir helfen das Erlebte auch wieder loszulassen. Wenn du Techniken der Psychohygiene kennst und sie für dich funktionieren.
Begleiten von Panikattacken und Zwangshandlungen
Ist eigentlich ganz einfach.. denn wir können versuchen der ruhende Pol zu sein. Das heißt zuerst erden wir uns mit einer kleinen (vielleicht versteckten) Körperübung und spüren, wie weit wir mitgehen können und was wir leisten wollen. Dann bieten wir an, was uns stimmig erscheint: Die Hand auf die Schulter (vorher fragen), gemeinsam eine SOS Übung machen, gemeinsam singen.
Es ist gut, wenn du ganz für die betroffene Person da sein kannst. So können deine Körperbewegungen ruhig und dein Geist gelassen bleiben. Die hektischen Dinge (evtl. Sanis alarmieren in Kessel Situation, um den Menschen herauszubringen, Abschirmen von Polizei oder Kindern, vor anderen Menschen in fast-Panik..) kann die zweite Person tun. Versucht einen Safer Space für die Person und andere zu schaffen.
Verwende Powersätze mit einfacher Sprache und großer Wirkung. Verwende Wörter, die hoffnungsvoll sind und positiv besetzt sind: Ich bleibe jetzt bei dir, bis es überstanden ist. Du bist jetzt sicher. Wir holen gerade Hilfe. Spreche langsam, ruhig und wenig. Stelle Augenkontakt her. Was wünschst du dir jetzt? Falls der Mensch antworten kann, stelle wenige, sehr einfache Fragen.
Übungen, die unser Nervensystem beruhigen können
- Abklopfen und Ausschütteln – spüre deine Grenzen, schüttel Belastungen ab
- 5 - 4 - 3 - 2 - 1 - Übung: Suche 5 Dinge, die du sehen kannst im Raum und benenne sie. Versuche 5 Geräusche zu hören und benenne sie. Spüre 5 verschiedene Wahrnehmungen und benenne sie. Weiter mit 4 Dingen sehen, 4 Dingen hören, 4 Dingen spüren. 3 Dingen sehen, 3 Dingen hören…
- Wiege dich in einer Hängematte und höre einen Entspannungspodcast/ geführte Meditation
- Übung für Awareness Struktur: Trau dich im AG Plenum zu sagen, dass dir ein Fall noch nachhängt. Bitte um Hilfe bei der Nachbereitung, du musst noch keinen Plan haben, wie die Hilfe gerade aussehen könnte. Sprich es im ersten Schritt einfach aus.